Liebermann in Holland

In Max Liebermanns Œuvre findet sich ein umfangreicher Werkkomplex mit holländischen Bildmotiven. Über vier Jahrzehnte lang waren die Niederlande im Sommer für Max Liebermann ein unverzichtbares Reiseziel. Er besuchte bereits im Jahr 1871, als er noch Student in Weimar war, das erste Mal das Nachbarland.  

„[…] ich habe in der letzten Zeit zu viel Porträt gemalt u muß mal wieder unter Gottes freiem Himmel arbeiten: das ist die beste Cur [sic] für einen Maler!“ (1)

Die ersten Jahre in Holland

Max Liebermann: Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Öl auf Leinwand, 1896, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Anfangs interessierte er sich motivisch fast ausschließlich für den Alltag der Landbevölkerung. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe seiner bekanntesten Frühwerke wie Die Konservemacherinnen, Der Weber, Die Flachsscheuer in Laren oder Die Netzflickerinnen. Er malte dort Menschen bei der Arbeit, auf dem Feld oder zu Hause in ihren bescheidenen Interieurs. In abgelegenen Gegenden, wie dem Dorf Zweeloo, in der Provinz Drenthe, fühlte sich Liebermann wie in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt. Zugleich knüpfte er an die Maltradition der Alten Meister an. Im Sommer 1876 kopierte er beispielsweise große Gruppenbilder von Frans Hals im Haarlemer Rathaus. (2)  

1887 folgten Aufenthalte im Fischerdorf Katwijk aan Zee nahe Leiden. Ab 1890 fuhr er mit seiner Frau Martha und seiner Tochter Käthe nach Zandvoort bei Haarlem zur Badekur, um danach allein ungestört arbeiten zu können. In Katwijk entstanden unter anderem Studien zum Motiv der badenden Knaben und das große Gemälde Schreitender Bauer (1894). 

Eine neue Schaffensphase

Mitte der 1890er Jahre entfernte sich Max Liebermann von seiner realistischen Bildsprache und trat in eine neue, an den französischen Impressionismus angelehnte Schaffensphase. Fortan konzentrierte er sich auf die Freizeitvergnügen in Scheveningen und Noordwijk – ehemalige Fischerdörfer, die sich zu mondänen Badekurorten entwickelten. Am 10. Juli 1897, berichtete er: „Ich arbeite hier im Schweiße meines Angesichts (im wahren Sinn des Wortes). Aber es giebt [sic] nur ein Land der Welt für die Malerei, c’est la Hollande.“ (3)

Max Liebermann: Gartenlokal in Laren, um 1903, Pastell, Privatsammlung, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Diese neue Schaffensphase verkündete Liebermann um die Jahrhundertwende folgendermaßen: „Was mich persönlich betrifft, so bin ich in eine neue […] Periode getreten: in den drei Monaten, die ich jetzt in Holland war, habe ich mich wieder gehäutet.“ (4) Die Palette hellte sich auf und vereinzelte Lichtflecken belebten die expressiv gewordenen Pinselstriche. Er interessierte sich in diesen Jahren zunehmend für die bürgerliche Freizeit. Anfang August 1900 hatte sich Liebermann mit seiner Familie im Scheveninger Hôtel d’Orange eingemietet. Während seiner tagesfüllenden Arbeit, die er in Begleitung lokaler Maler wie Josef und Isaac Israëls am Strand verbrachte, entstand eine Reihe von Studien und Bildern zum Thema Reiter am Meer. Auch in den darauffolgenden Jahren setzte sich Liebermann mit dem Motiv der Reiter und Pferdeknechte am Strand intensiv auseinander und malte überdies elegant gekleidete Tennisspieler am Meer.

Max Liebermann bei der Arbeit am Strand von Noordwijk, 1911, aus: Erich Hancke: Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923, S. 448

Noordwijk, Inspirationsort für viele Jahre

Der Kunsthändler Paul Cassirer soll Liebermann Noordwijk empfohlen haben und so verweilte Liebermann 1905 im dortigen Kurhotel Huis ter Duin. In seinen Bildern hielt er Noordwijks Anfangsjahre als Seebad und die touristische Weiterentwicklung fest; anstelle des allzu überlaufenen mondänen Scheveningen sollte dieser Küstenort bis 1913 sein präferierter Ort in Holland werden. Im Hause Cassirers, in den Dünen gelegen am Rande des Dorfes, feierte Liebermann am 20. Juli 1907 seinen 60. Geburtstag. Zwei Tage nach dem Fest schreibt Cassirer an den Berliner Kunsthistoriker Max Osborn:  

Noordwijk aan Zee, Strandpanorama (Blick von der Düne beim Hotel Huis ter Duin), um 1910, historische Postkarte, Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin

„Liebermann wohnt hier in meinem Häuschen […] Sie kennen Noordwijk und wissen, welch kleines ruhiges Nest es ist […]. Nun: [wir] mußten um 6 Uhr morgens aufstehen, weil der verehrte Meister die unangenehme Angewohnheit des Frühaufstehers hat. Als er um ½ 7 pünktlich erschien, beglückwünschte ich ihn […]. Dann geschah eine Zeit lang nichts bis gegen 9 Uhr. Von 9 Uhr morgens bis heut den 23. nachmittags 5 Uhr kamen alle halbe Stunde 25 Telegramme. Dazwischen auch Briefe, meist mit Strafporto belastet […]. Auch Blumen kommen furchtbar viel; natürlich immer dieselben. Da alle Bouquets bei dem Gärtner von Noordwijk bestellt waren. Die einzigen Lichtblicke waren die Körbe mit Obst, die meine Köchin mit Befriedigung in ihre mütterlichen Arme nahm.“

Max Liebermann: Hauseingang – Hof in Noordwijk, 1905, Öl auf Holz, Privatsammlung, Foto: Oliver Ziebe, Berlin

Aus den Briefen ist bekannt, dass der Sammler Gustav Schiefler Liebermann eine Kiste Pfirsiche zum Geburtstag nach Noordwijk geschickt hat.  So schreibt Cassirer weiter: „Auch diese Freude hat sich in bitteren Wermut verwandelt. Die Pfirsische [sic] faulten und wir müssen seit 3 Tagen, nichts als Pfirsischkompotts, Pfirsischkuchen, Pfirsischmus und Pfirsischreis essen.“ (6) 

Auch die Menschen in Noordwijk beglückwünschten den Jubilar und überraschten ihn am Abend mit der Dorfkapelle und dem Gesangsverein. Hierzu schreibt der Kunsthändler: „Als der Versuch [der Kapelle] das fünfte Mal verunglückt war, forderte Liebermann die getreue Bevölkerung auf, ein Glas Wein zu trinken. Man that [sic] es und das Fest war aus. Aber das seltsamste – Liebermann war über jede noch so naive Aufmerksamkeit gerührt […] der ‚nüchterne raffinierte‘ Mensch war erfreut wie ein Kind.“ (7) Diese zeitgenössischen Erwähnungen zeigen, wie eng Liebermann mit Noordwijk verbunden war und welch ertragreiche Sommer er dort verlebte. Seine Strandszenen verkauften sich gut in Berlin und so entstanden zahlreiche Variationen. 

Ein abruptes Ende 

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 setzte Liebermanns jährlichen Hollandreisen ein Ende. Danach kehrte der Maler nie wieder in sein „Adoptivvaterland“ zurück. Fortan verbrachte er die Sommermonate mit seiner Familie in seinem Idyll am Großen Wannsee mit dem prächtigen Reformgarten. Die Villa diente als Rückzugsort und Inspirationsraum für sein farbkräftiges Spätwerk.

– Alice Cazzola, Liebermann-Villa am Wannsee

(1) Max Liebermann, Brief an Alfred Lichtwark, 29.06.1908, in: Max Liebermann, Briefe, hrsg. von Ernst Braun, Bd. 4 (1907–1910), Baden-Baden 2014, S. 191.

(2) Vgl. Erich Hancke: Liebermanns Kopien nach Frans Hals, in: Kunst und Künstler, Jg. 14, Heft 11, 1916, S. 525–534.

(3) Max Liebermann, Brief an Max Linde, 10.7.1897, in: Max Liebermann, Briefe, hrsg. von Ernst Braun, Bd. 2 (1896–1901), Baden-Baden 2012, S. 128–129, hier 129.

(4) Max Liebermann, Brief an Franz Servaes, 14.10.1900, in: ebd., S. 366.

(5) Paul Cassirer an Max Osborn am 23. Juli 1907. Max Liebermanns 60. Geburtstag in Noordwijk, in: Max Liebermann, Briefe, hrsg. von Ernst Braun, Bd. 4 (1907–1910), Baden-Baden 2014, S. 487–488, hier 487.

(6) ebd., S. 487.

(7) ebd., S. 487.

(8) Max Liebermann, Brief an Karl Scheffler, 16.4.1930, in: Max Liebermann, Briefe, hrsg. von Ernst Braun, Bd. 8 (1927–1935), Baden-Baden 2019, S. 318–319, hier 318.