Der „Mann in orientalischer Kleidung“

Die Darstellung eines Mannes in „orientalischer“ Kleidung von Jan Lievens (1607-1674) gehört zu den Meisterwerken der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Gezeigt wird ein älterer Mann mit Ohrring und Turban, dessen hauchdünne Reiherfedern und sein dünn gefalteter Stoff so detailliert wiedergegeben sind, das sie fast fühlbar werden. Der Dargestellte trägt ein samtiges Gewand, das durch ein geschlungenes Tuch über der Hüfte gegürtet wird. Um die Schultern ist ein schwerer, mit Goldbrokat bestickter Mantel gelegt, der durch eine massive Goldkette am Körper gehalten wird. Selbstbewusst greift der Mann in den Gurt und stellt dabei die Ellenbogen auf – ein Herrschergestus, der den umfangreichen Körper zur Geltung bringt. Eine effektvolle Licht- und Schattenverteilung setzt den Dargestellten dramatisch in Szene, dessen Blick sich in der Ferne verliert. 

Turban, Ohrring und Kleidung verweisen auf einen Herrscher des osmanischen oder des persischen Reichs. Dabei entspricht das Gemälde einem Darstellungstypus, der in der Kunstgeschichte als „Tronie“ (ndl.: Gesicht) bezeichnet wird. Sein Ursprung lag in Malerwerkstätten des ausgehenden 16. Jahrhunderts, wo derartige Ausdrucksstudien als Vorlage für Historiendarstellungen genutzt wurden. In der frühen Schaffenszeit von Jan Lievens und Rembrandt, in der sich beide Maler künstlerisch beeinflussten, entwickelte sich diese Bildspezies von der Studie hin zu autonomen Kunstwerken. Gezeigt werden Einzelfiguren, die sowohl Bildnissen als auch Historiendarstellungen ähneln und doch keines von beiden sind. Sie bieten hervorragende Möglichkeiten für die Darstellung von Gemütszuständen, der Wiedergabe von Materialität sowie für Experimente in Licht- und Schattenverteilung und des Kolorits.  

In ihren zahlreichen Tronies zeigen Lievens und Rembrandt gerne wiederkehrende Typen, die mal durch Rüstungsteile als Krieger erkennbar werden, ein anderes Mal durch kostbaren Schmuck und ebensolche Kleidung als Fürst. Durch die Zufügung eines Turbans wurde aus dem Fürsten schnell ein Herrscher des „Orients“. Die Uneindeutigkeit des Themas sorgte gelegentlich dafür, dass Titel frei erfunden wurden. So galt unser „Mann in orientalisierender Kleidung“ beispielsweise ab 1707 als Bildnis „Sultan Suleimans“. Constantijn Huygens, Sekretär des niederländischen Statthalters Friedrich Heinrich von Oranien-Nassau bezeichnete das Bild um 1631 als „eine Art türkischen Fürsten“, „der nach dem Kopf eines Holländers gemacht sei“. Die Physiognomie des Mannes begegnet uns tatsächlich häufig im Rembrandt-Umkreis. So wird es sich um eine reale Person gehandelt haben, die den Leidener Künstlern als Modell diente.  

Jan Lievens: Mann in orientalischer Kleidung, um 1629 – 1631, Bildergalerie von Sanssouci │ Foto: SPSG, Roland Handrick

Die Republik der Vereinigten Niederlande war ab 1602 durch die Gründung der „Vereinigten Ostindischen Kompanie“ in Kontakt mit Asien gekommen, wobei „Asien“ bzw. „Orient“ eher Sammelbegriffe waren, die Gebiete Pakistans, Persiens und des heutigen Irak miteinbezogen. 1623 schloss die Kompanie ein Handelsabkommen mit Persien und drei Jahre später bereiste eine persische Delegation Städte der niederländischen Republik. Sie beförderte das dortige Interesse der Bevölkerung am Thema des „Orients“, das sich auch in der Malerei niederschlug.  

In der Malerei waren zwar bereits zuvor Figuren mit orientalischer Anmutung als biblisches Historienpersonal eingesetzt worden. Es waren jedoch erst die beiden jungen Leidener Maler, die orientalisierende Darstellungen ab 1627 auch in der Einzelfigur bildwürdig machten. Bereits ein Jahr nach dem Eintreffen der persischen Delegation griff Rembrandt dieses Thema auf und Lievens schuf zwei Jahre später unseren „Orientalen“. Das Interesse der Niederländer am „Orient“ ging jedoch nicht über eine oberflächliche Faszination hinaus. Dies zeigt unsere Tronie beispielsweise im Kostüm, das nur im Ansatz Kleidung erahnen lässt, wie sie im osmanischen Reich getragen wurde. So erscheint der Mantel eher wie eine Mischung aus einem kostbaren Teppich und einem liturgischen Gewand.  

Um 1624-31 gehörten Rembrandt und Lievens zu den aufstrebenden Malern Leidens, die auch bald die Aufmerksamkeit der Den Haager Hofkreise auf sich zogen. Zwischen 1629 und 1631 entstand unser Bild vermutlich als erster Auftrag des Statthalters an Lievens. Als die Statthalterfamilie Oranien-Nassau 1702 in männlicher Linie ausstarb, entbrannte zwischen Preußen und dem friesischen Zweig Nassau-Dietz ein Streit um das Erbe. In Folge des 1732 geschlossenen Einigungsvertrages wurden dem preußischen König einige niederländische Schlösser zugesprochen. Ab 1742 ließ König Friedrich II. hieraus um 50 herausragende Gemälde nach Berlin transportieren, darunter auch das Gemälde von Lievens. Als Werk Rembrandts interpretiert, gelangte es in die Bildergalerie des Berliner Schlosses. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts befindet es sich in der Bildergalerie von Sanssouci und ersetzt hier Werke Rembrandts der friderizianischen Originalausstattung, die 1830 dem Königlichen Museum in Berlin übertragen wurden.  

– Dr. Alexandra Nina Bauer, Kustodin für die Gemälde der deutschen und niederländischen Schulen, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Titelbild: Ausschnitt aus Jan Lievens: Mann in orientalischer Kleidung, Bildergalerie, Sanssouci │ Foto: SPSG, Roland Handrick