Das Holländische Viertel in den 1970er und 1980er Jahren

1975 war es beschlossen, dass das gesamte Holländische Viertel rekonstruiert werden sollte. Das Viertel wurde als ein historisch außerordentlich wertvolles städtebauliches Ensemble anerkannt. Gerungen wurde um das Holländische Viertel spätestens seit Ende der 1960er Jahre.1

Verbildlichung der Gestaltungspläne der Rekonstruktion des Viertels; Beispiel für Hofgestaltung, Grafik: Tanja Neljubina, Norbert Blumert

Wie ein Irrlicht tauchte ein Plan zum Flächenabriss des Viertels und zur Neubebauung mit 11- bis 15-geschossigen Wohnbauten auf.2 Auch ein großzügiger Abriss in der Gutenbergstraße zugunsten einer neu zu bauenden Markhalle für Obst und Gemüse wurde kurzzeitig diskutiert.3 Ernsthafter waren die Pläne zum Abriss der Häuserzeilen an der heutigen Kurfürstenstraße, aber auch an der Hebbelstraße und Gutenbergstraße, da diese Straßen Teil eines innerstädtischen Tangentenrings werden sollten.4

All diese Pläne wurden Makulatur spätestens als das Holländische Viertel als Teil der zweiten Stadterweiterung in die zentrale Denkmalliste der DDR als Denkmal von besonderer nationaler und internationaler Bedeutung aufgenommen wurde. Grundlage dieser Liste war das am 19. Juni 1975 verabschiedete Denkmalpflegegesetz der DDR. Die vom Rat der Stadt Potsdam 1977 beschlossenen Grundsätze der Rekonstruktion besagten, dass das Holländische Viertel als denkmalgeschütztes Objekt in seiner Gesamtheit zu erhalten ist. Vor allem sollten die Fassaden erhalten und aufgewertet werden, die Brandgassen wiederhergestellt und die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäude mit historischen Fassaden wieder errichtet werden. Da das Viertel hauptsächlich als Wohngebiet rekonstruiert werden sollte, war eine Modernisierung aller Wohnungen zwingend notwendig. Besaßen doch noch nicht mal ein Viertel der Wohnungen eine Innentoilette und noch wesentlich weniger ein Bad. Die Wohnqualität sollte aber auch durch den vollständigen Abriss der Überbauung der Innenhöfe erreicht werden. Geplant war von Beginn an die teilweise öffentliche Nutzung der Innenhöfe sowie Einrichtung, Erhalt und Wiedereröffnung von Geschäften, Restaurants, Cafés, Ausstellungsräumen und Werkstätten.

Frühstück der Bewohner:innen, Mittelstraße, 1987, Foto: Ralf Petsching

Interessanterweise wurde, um das Viertel besser an die Innenstadt anzubinden, vorgeschlagen, die Friedrich-Ebert-Straße von der Brandenburger Straße bis zum Nauener Tor fußläufig zu gestalten sowie die Mittelstraße als Fußgängerzone mit den ursprünglich vorhandenen Vorgärten. Teil der Planung war auch die vollständige Erneuerung beziehungsweise Einrichtung der technischen Infrastruktur, also die Versorgung mit Fernwärme, Gas, Wasser, Energie und Telefon. Die Rekonstruktion des Viertels sollte im Zeitraum von 1981 bis 1985 durchgeführt werden.5 Bereits Anfang der 1980er Jahre wussten alle Beteiligten, dass eine vollständige Sanierung des Viertels bis 1985 nicht zu realisieren war und somit wurde der Fertigstellungstermin der Rekonstruktion auf das Jahr 1990/91 verschoben. Letztendlich sollte das Viertel zur 1000-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 1993 vollständig rekonstruiert sein.6

Die Protokolle der Sitzungen des Rates der Stadt Potsdam zeigen, dass es 1984 noch einmal eine umfassende Planung von Maßnahmen zur Verwirklichung der Rekonstruktion des Holländischen Viertels gab.7 Es wird noch einmal ausdrücklich betont, dass es keinen Abriss der Häuser geben sollte und dass ein familienfreundliches Wohngebiet, mit Freiräumen und Spielstätten in den Innenhöfen, entstehen sollte. Im Viertel sollte es einen Kindergarten, gastronomische Einrichtungen wie den „Fliegenden Holländer“, Handwerks- und Dienstleistungseinrichtungen wie eine Goldschmiede und Porzellanmalerei, Ateliers für Künstler:innen und Verkaufs- und Service-Läden wie eine Boutique für Putz, Mode und Blumen geben. Die gesamte künstlerische Gestaltung des Ensembles sollte der Verband Bildender Künstler der DDR im Auftrag des VEB Umweltgestaltung und bildende Kunst Potsdam übernehmen. Geplant wurde unter anderem für die Innenhöfe ein „Spielgarten Holländische Mühle“ und ein „Tulpenhof mit Delfter Brunnen“.8

Abriss der Hofbebauung in der Kurfürstenstraße, 1988, Foto: Michael Heinroth

Eine touristische Nutzung des Viertels war ab 1984 ebenso mit angedacht. Dafür sollte ein Hotel der Sonderklasse mit 50 Betten eingerichtet werden. Die Protokolle verweisen auch darauf, dass rund 40 % der Wohnungen baupolizeilich gesperrt waren, viele Dächer undicht, Schornsteinanlagen funktionsuntüchtig, die Erdgeschosse durch aufsteigende Nässe feucht, die Elektroinstallationen ungenügend und Fenster, Türen und Treppen stark verschlissen waren. Von Beginn an begleiteten die Bauarbeiten eine Dokumentation und Sicherung der originalen Bausubstanz aus dem 18. Jahrhundert, um die denkmalpflegerischen Maßnahmen fachgerecht anzuleiten. Noch heute zeugt die Ausstellung im Jan Bouman Haus zum Teil von diesen Bemühungen. Da weder die finanziellen Mittel noch die Baustoffe und Fachhandwerker ausreichend zur Verfügung standen, waren Ende 1989 nur 35 der 134 Häuser rekonstruiert. Alle Pläne waren wieder Makulatur.

Schwarz-Weiß-Fotoausstellung, Mittelstraße 18, 1987, Foto: Ralf Petsching

Wird mit Zeitzeugen:innen gesprochen, die in den 1980er Jahren im Holländischen Viertel wohnten, wird immer wieder von der Leere und dem Stillstand gesprochen, die die Gegend prägten. Junge wohnungssuchende Menschen zogen in einige der baupolizeilich gesperrten Wohnungen ein und wohnten dort „schwarz“, das heißt ohne Mietvertrag. Sie richteten zum Teil ein Fotolabor, eine Siebdruckwerkstatt oder ein Tonstudio ein. Manche der Bewohner:innen zeichneten, malten, fotografierten zusammen und machten gemeinsam Musik und organisierten Konzerte und Lesungen. Die entstandenen Arbeiten stellten sie in ihren Wohnungen aus und zeigten sie einem kleinen Kreis von Interessierten. Auch Künstlerbücher in kleinsten Auflagen entstanden. Höhepunkt der Aktivitäten war 1987 ein Gartenfest in der Mittelstraße 30 und die „Schwarz-Weiß-Fotoausstellung“ in der Mittelstraße 18. Für diese Menschen stellte das Viertel in den 1980er Jahren einen unabhängigen Raum dar.

– Peggy Grötschel, Jan Bouman Haus

(1) Stadtarchiv Potsdam, Sig. A 1./0895, Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 21.11.1968

(2) IRS, Bebauungsstudie Rekonstruktion Holländisches Viertel, Büro für Städtebau Potsdam, November 1972

(3) Stadtarchiv Potsdam, Sig. A 1./0907, Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 06.03.1969

(4) Stadtarchiv Potsdam, Sig. A 1./0895, Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 21.11.1968

(5) Stadtarchiv Potsdam, Sig. A 1./1193, Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 03.08.1977

(6) Stadtarchiv Potsdam, Sig. Soz/04106, Rekonstruktion des Holländischen Viertels

(7) Stadtarchiv Potsdam, Sig. A 1./1372, Protokoll der Sitzung des Rates der Stadt Potsdam am 04.01.1984

(8) Stadtarchiv Potsdam, Sig. Soz/04106, Rekonstruktion des Holländischen Viertels