Niederländische Zwangsarbeiter in Potsdam

Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte: Das Amts- und Landgerichtsgefängnis im Großen Holländischen Haus in der Lindenstraße 54/55 war zwischen 1941 und 1945 Haftort für niederländische Männer und Frauen. Sie gehörten zu den mehreren Hundert Zwangsarbeiter:innen, die dort auf ihre Verfahren warteten oder Strafen verbüßten.

Niederländische Zwangsarbeiter:innen im Babelsberger Ufa-Lager am Sportplatz „Sandscholle“, zwischen 1943 und 1945, Foto: Filmmuseum Potsdam, Sammlung Dick de Voogt

Die deutschen Besatzer hatten sie – wie rund 7,5 Millionen Menschen in ganz Europa – für die Arbeit in Deutschland angeworben, gezwungen oder genötigt und an Einsatzorte transportiert, wo sie den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel ausgleichen sollten. Allein in Potsdam existierten mindestens 70 Barackenlager und andere Unterkünfte, in denen Zwangsarbeiter:innen aus Ost und West leben mussten – viele mitten in der Stadt und umgeben von Wohnhäusern.

Den rund 40 niederländischen Inhaftierten im Großen Holländischen Haus, darunter vier Frauen, wurden Delikte vorgeworfen wie Arbeitsverweigerung, Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung, fahrlässige Körperverletzung und verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen. Überwiegend handelte es sich jedoch um Vergehen wie Lebensmitteldiebstahl oder Handel mit gestohlenen Nahrungsmitteln – ein Indiz für die schlechten Lebensbedingungen ausländischer Arbeiter:innen.

Dabei ging es den westeuropäischen Arbeitskräften im Vergleich zu den osteuropäischen noch verhältnismäßig gut. Sie konnten sich relativ frei bewegen, lebten mitunter in Privatquartieren statt in Barackenlagern und wurden häufiger zu qualifizierten Tätigkeiten herangezogen. Vor allem aber waren sie in der Öffentlichkeit nicht sofort erkennbar wie osteuropäische Zwangsarbeiter:innen, die Aufnäher an ihrer Kleidung tragen mussten: P für die Herkunft aus Polen, OST für Ostarbeiter:innen – Menschen aus der Sowjetunion. Auch hinsichtlich der Strafen gab es große Unterschiede. Grundlage der Verfahren gegen Zwangsarbeiter:innen aus Westeuropa waren das deutsche Strafrecht und zusätzliche Verordnungen, die auch für die deutsche Bevölkerung galten. Für Menschen aus Osteuropa wurden hingegen Sonderbestimmungen erlassen, die härtere Urteile bis hin zur Einweisung in Konzentrationslager oder Todesstrafen vorsahen.

Garten der Villa Liegnitz im Park Sanssouci, 1920er Jahre, Foto: SPSG

Den Ermittlungsakten ist zu entnehmen, dass die inhaftierten Niederländer:innen vor allem in Potsdam, Brandenburg/Havel, Kleinmachnow und Niemegk gearbeitet hatten. Als gelernte Bäcker, Konditoren, Fleischer, Elektriker und Buchbinder konnten einige Männer in ihren Berufen tätig sein, viele wurden der Rüstungsindustrie zugewiesen. Auch in den städtischen Betrieben ersetzten sie fehlende Arbeitskräfte, bspw. als Straßenbahnfahrer. Und selbst der Adel profitierte von ihnen, so wie der SA-Obergruppenführer Prinz August Wilhelm von Preußen, dessen Garten der Villa Liegnitz im Park Sanssouci Hendryk K. aus Haarlem pflegte. Der Gärtner kam nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen im Februar 1945 in Haft. Dank des nahenden Kriegsendes verzögerte sich sein Verfahren und wurde im Sommer gänzlich eingestellt. Auch die Babelsberger Filmproduktionsfirma Ufa (Universum Film AG) hätte ohne Zwangsarbeiter:innen nicht 60 Filme pro Kriegsjahr herstellen können. In den Studios arbeiteten zunächst französische Kriegsgefangene und Niederländer. Sie waren als Beleuchter, Handwerker, Bühnenarbeiter, Dekorateure und in der Tonabteilung eingesetzt oder mussten das Gelände instand halten. 1942 ließ die Ufa am Sportplatz „Sandscholle“ in der heutigen Franz-Mehring-Straße ein Lager für rund 600 Menschen einrichten. In den mit Stacheldraht voneinander abgegrenzten Zonen lebten Zwangsarbeiter:innen aus den Niederlanden und Frankreich sowie Männer, Frauen und Kinder aus Russland, der Ukraine, Weißrussland und Polen.

.

Ufa-Zwangsarbeiterlager in Babelsberg am Sportplatz „Sandscholle“ mit angrenzenden Wohnhäusern im Hintergrund, zwischen 1943 und 1945, Foto: Filmmuseum Potsdam, Sammlung Dick de Voogt

Mindestens drei niederländische Arbeiter der Ufa waren in der Lindenstraße inhaftiert: Cornelius A. wurde wegen Diebstahl zu zwei Monaten Haft verurteilt, die er 1942 im Gefängnis Lindenstraße verbüßte. Wilhelm von der S. stand zwischen 1941 und 1943 wegen homosexueller Handlungen vor Gericht. Das Strafmaß und sein weiteres Schicksal sind nicht überliefert. Johannes K. hatte sich im November 1940 freiwillig nach Deutschland gemeldet und kam zunächst als Maler in die Arado Flugzeugwerke Babelsberg. 1942 wechselte er zur Ufa, wo er begann, mit kontingentierten Produkten wie Fleisch, Butter und Alkohol zu handeln. Er hatte Glück und konnte sich 1944 durch Krankheit einer Verurteilung entziehen.

Als staatsfeindlich eingestufte Taten wurden aber auch bei Niederländer:innen höher bestraft: Willem van E., Arbeiter in Brandenburg an der Havel, hatte 1943 seiner Familie geschrieben, er und andere ausländische Arbeiter würden durch langsames Arbeiten die Produktion sabotieren. Auch freue er sich über die Erfolge der vorrückenden Roten Armee. Sein Brief wurde abgefangen. Das Amtsgericht Potsdam verurteilte ihn zu drei Monaten Gefängnis wegen des Verstoßes gegen die Postverkehrsverordnung. Er hatte den Brief über eine andere Adresse an seine Familie schicken wollen, was verboten war. Tatsächlich wurde er aber für seine „deutschfeindlichen“ Nachrichten bestraft, denn nach seiner Haftentlassung überstellte ihn die Gestapo in ein Konzentrations- oder Arbeitserziehungslager. Sein Schicksal ist ungeklärt. 

– Jeanette Toussaint, Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße