7.500 Fliesen in Caputh

Etwa 7.500 Fliesen in Blau-Weiß bedecken die Wände und Decken des geräumigen Fliesensaals im Schloss Caputh. Die Verwendung dieser typischen Erzeugnisse holländischer Fayenceproduktion zeigt nicht nur den Einfluss der niederländischen Kultur am brandenburgisch-preußischen Hof, sondern stellt auch ein schönes Beispiel der barocken „Fliesenmode“ in europäischen Schlössern dar. 

Fliese mit Landschaft │ Foto: SPSG, Wolfgang Pfauder

Schloss Caputh, nur wenige Kilometer von Potsdam entfernt, gehörte einst der Kurfürstin Dorothea und später dem ersten preußischen König Friedrich I. Den Fliesensaal gab es zu deren Zeit noch nicht. Dieser entstand erst um 1720 als Friedrich Wilhelm I. den Landsitz seiner Vorfahren gelegentlich zur Rast auf Jagdausflügen in der wildreichen Umgebung nutzte. Der im Sockelgeschoss gelegene und rundum mit Fliesen bekleidete Raum war vermutlich der Ort, wo sich die fürstliche Jagdgesellschaft erfrischte und bewirten ließ. 

Friedrich Wilhelm I. schätzte die calvinistisch-fromme und zugleich geschäftige Lebensart der Holländer. Auch deren Wohnkultur galt ihm zeitlebens als vorbildlich. Im holländischen Bürgerhaus nutzte man Fayencefliesen als zweckmäßige und dekorative Lösung für die Verkleidung feuchter oder stark beanspruchter Wohnbereiche, wie Küchen und Flure, als Sockelleisten zum Schutz der weiß gekalkten Zimmerwände und als gut zu reinigende Beläge um offene Kamine und Herdstellen. Wegen ihrer Porzellanähnlichkeit wurden Fayencefliesen im Verlauf des 17. Jahrhunderts zunehmend auch für die Gestaltung fürstlicher Speise- und Gartensäle, Schauküchen und Badekabinette geschätzt und begehrt.  

Fliese mit Segelboot auf „Harlinger Wellen“ │ Foto: SPSG, Wolfgang Pfauder

Der aus dem weltweiten See- und Kolonialhandel erwachsene Wohlstand der Vereinigten Republik der Niederlande hatte die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die sich seit dem späten 16. Jahrhundert etablierende Fayenceproduktion geschaffen. In Delft hatten sich besonders viele Töpferwerkstätten angesiedelt, die Schalen, Teller, Platten und Gefäße aller Art herstellten. Als „Delfter Fayencen” fanden sie eine breite Käuferschicht in ganz Europa. Sie stellten eine erschwingliche Alternative zu den sehr teuren Importporzellanen aus China und Japan dar, die von den Schiffen der Niederländisch Ostindischen Compagnie ab 1602 nach Amsterdam gebracht wurden. Auch ihr blau-weißes Dekor entstand unter dem Einfluss des begehrten ostasiatischen Porzellans. Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelten sich jedoch andere Städte der Provinz Holland – Rotterdam, Harlem, Amsterdam und Utrecht – zu Zentren der Fliesenherstellung. Nach 1650 wurden sie auch in der Provinz Friesland produziert. Die Manufakturen in Harlingen, Makkum und Bolsward übernahmen bald darauf die Führung in der Fliesenproduktion. Ihre Blütezeit fällt in die Jahre 1660 bis 1730.

Delft war auf dem Gebiet der Fliesenherstellung nur kurze Zeit tätig, wodurch die gebräuchliche Bezeichnung „Delfter“ Fliesen meist ebenso falsch ist wie die häufige Verwechslung mit dem Begriff „Kachel“. Im Gegensatz zur Kachel handelt es sich bei der Fliese um eine beidseits flach geformte Platte, die keinen Hohlraum bildet wie die Ofenkachel.  

Fliese mit zwei Musikanten │ Foto: SPSG, Wolfgang Pfauder

Die Fliesen in Caputh gehören zu den ab 1700 in Massen produzierten „Nederlandse Tegels“, die auf 13 x 13 Zentimetern im Quadrat große und kleine Geschichte(n) erzählen. Bei näherer Betrachtung der zunächst unüberschaubar wirkenden Fülle lassen sie sich fünf Themenbereiche mit zahlreichen Variationen unterscheiden: Segelboote, Landschaften mit typischen Landmarken wie Windmühlen und Leuchtfeuer, Schäfer und Schäferinnen, Tiere im Kreis und kleine Szenen aus dem Alltagsleben. Zu ihnen gehören die Darstellungen von alten Kinderspielen, die nach Vorlagen von Kupferstichen oder Holzschnitten auf die Fliesen übertragen wurden. Hinter dem vermeintlich Alltäglichen verbarg sich oft eine tiefere Bedeutung, die den Menschen des 17. und 18. Jahrhunderts durchaus geläufig war. Spiele wie das Reifenschlagen und Seilspringen, das Seifenblasen oder Kreiselspiel wurden als Sinnbilder für unnützes Tun, für Verlust und Vergänglichkeit verstanden.

Im Caputher Fliesensaal treten die symbolischen Aussagen eindeutig in der Menge der Fliesen und der häufigen Wiederholung der Motive zugunsten der Raumwirkung zurück. Hier liegt der Reiz in der kompletten Wand- und Deckenverkleidung. Deren Herstellung muss von qualifizierten Handwerkern erbracht worden sein, die solche Fliesenarbeiten nicht zum ersten Mal ausführten. Alle Flächen weisen eine strukturgebende Gliederung und eine mehr oder weniger konsequent eingehaltene Abfolge der Fliesenmotive auf. Die handwerkliche Meisterschaft ist vor allem an der Ausführung der keramischen Bekleidungen der Gewölbe- und Gurtbogenflächen zu sehen. Das original erhaltene Fugenbild und die verschieden getönten Glasuren sorgen je nach Lichteinfall für lebendige Spiegelungen auf den porzellanähnlichen Oberflächen. Auch heutige Besucher können sich der besonderen Atmosphäre und der Entdeckerfreude en détail im Fliesensaal des Schlosses Caputh kaum entziehen.  

– Claudia Sommer, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten

Titelbild: Der Fliesensaal im Schloss Caputh │ Foto: Bildarchiv Foto Marburg / SPSG, Andreas Lechtape